Briefkopf - ALBERT MILDE k. k. Hof-Kunst-Bauschlosser und Eisenkonstrukteur zu Wien; von 7.2.1839 bis 8.11.1904

Allgemeine Bauzeitung 1873

Niederösterr. Gewerbeverein

k. k. Albert Milde

Archivbild 1: Perspektivische Ansicht des Vereinshaus in 1010 Wien, Eschenbachgasse 11

Archivbild 1: Perspektivische Ansicht des Vereinshaus in 1010 Wien, Eschenbachgasse 11 (1)

 

Wien im Dezember 1872.
Die Vereinshäuser des österr. Ingenieur- und Architekten-Vereins

und des
niederösterr. Gewerbe-Vereins in der Eschenbachgasse in Wien.

Welch‘ wunderbare Zeit ist doch für uns Techniker herangebrochen!

Kaum begann man vor wenig mehr als 30 Jahren schüchtern da und dort Lokomotivbahnen zu bauen, und wie ist heute das ganze Leben umgestaltet, wie wachsen die Städte, wie wachsen die Aufgaben, die man dem Genius der Kunst sowohl als dem Genius der Technik stellt! Die Zahl der Universitäten ist sich gleich geblieben, die Zahl der technischen Hochschulen und höheren Baugewerkschulen hat sich verdreifacht. Was wusste man vor 30 Jahren viel von technischen Fachvereinen mit dem Programm: Förderung der Wissenschaft durch gemeinsames Streben, durch gegenseitigen Austausch von Studien und Erfahrungen etc., mit dem Programm: Förderung der Interessen des Berufsstandes auch in sozialer Beziehung? Die Zahl der Techniker war überhaupt noch zu gering und das, mehr die Geheimhaltung begünstigende, System der Vererbung des Wissens und der Erfahrung von den Meistern auf die Schüler war ja noch das vorherrschende. Heute sind die, die Publizität und Verallgemeinerung des Wissens befördernden Vereine verbreitet über Reiche und Provinzen, über alle bedeutenderen Städte und eben im heurigen Jahre wurde ein großer Verband der über die deutschen Reichslande verbreiteten Einzelvereine begründet, der wohl geeignet sein wird, mit Macht und Autorität die fachlichen Interessen zu vertreten.

Der ältere Berliner Architekten-Verein, der älteste Techniker-Verein in deutschen Landen überhaupt, hat schon vor Jahren sein eigenes Haus gebaut, der jüngere österreichische Ingenieur- und Architekten-Verein, als Ingenieur-Verein beginnend, eine Schöpfung des Erweckungsjahres 1848, hat sein eigenes Haus im heurigen Jahre fertig gebaut, eröffnet und bezogen. In gleicher Weise, wie in dem Wachsen des Vereinslebens der Techniker des deutschen Reiches, spiegelt sich auch in dem Wachstum des in Wien domizilierenden österr. Ingenieur- und Architekten-Vereins die progressiv gestiegene Bedeutung der Technik deutlich wieder. Was wird dieser letztere Verein im nächsten Jahre, wo er seinen 25jährigen Bestand zu feiern Gelegenheit hat, von sich erzählen können!

Von 14 Männern, die den Verein im Sommer 1848 gründeten, ist er angewachsen bis heutigen Tags auf 1.700 Mitglieder. Aus eigener Kraft, aus Geschenken seiner Mitglieder und Wertschätzer, welche allein die Höhe von mehr als 160.000 fl. erreichten, hat sich der Verein ein Haus errichtet, das an Pracht und Größe kaum zurücksteht hinter den berühmten Klubpalästen Londons. Der österr. Ingenieur- und Architekten-Verein bereitet eine eigene umfassende Publikation des neuen Vereinshauses und ebenso eine umfassende Vereins-Biographie für das nächste Jahr vor, wir sind deshalb leider nicht in der Lage, das architektonisch höchst bedeutsame Werk des aus der Projekte-Konkurrenz als Sieger hervorgegangenen Architekten Otto Thienemann ausführlich mitzuteilen; aber wir fühlen uns gleichwohl veranlasst, dem für das Emporblühen, das wachsende Ansehen der Technik im Allgemeinen höchst bedeutungsvollen Abschnitt, an welchem der österr. Ingenieur- und Architekten-Verein durch die Gründung seines eigenen Hauses angelangt ist, eine kurze Betrachtung zu widmen und wenigstens durch Grundrisse und Fassade des Gebäudes ein Bild zu geben von der stattlichen Heimstätte, die sich dieser Verein zu schaffen in der Lage war.

Man erkennt schon gleich aus den Darstellungen, die uns ein Doppelhaus vorführen, zweien Vereinen angehörig, wie man durch die kluge Zusammenleitung zweier paralleler Bestrebungen zum Ziele gelangt ist.

Der niederösterr. Gewerbe-Verein, der seinen Bestand schon aus dem Jahre 1840 herleitet, ein vielfach verwandter Verein, dem auch eine große Anzahl Mitglieder des österr. Ingenieur- und Architekten-Vereins, meist Männer von Bedeutung, zugleich mit angehören, hat gleichzeitig mit dem Ingenieur- und Architekten-Verein die Übelstände der beengten Räume für seine Versammlungen, der immer schwieriger werdenden Mietverhältnisse empfunden, und war gleichzeitig mit den Vorbereitungen für Schaffung eines eigenen Hauses beschäftigt. Die notwendige Lage eines solchen Hauses im Bereich des Zentrums von Wien, also der inneren Stadt, musste das Auge auf die Stadterweiterungsgründe lenken. Zu welch' enormer Höhe waren aber bereits die Preise für diese Grunde emporgewachsen! Da wurde denn wieder einmal an das bewährte: "Mit vereinten Kräften" appelliert und diesmal mit gutem Erfolg. Beide Vereine einigten sich zu gemeinschaftlicher Durchführung ihrer gleichen Bestrebungen, und diesem gemeinsamen Vorgehen verdankten sie gleich die erste bedeutsame Errungenschaft, die der Überlassung zweier vereinigter Baustellen in passender Lage um den halben Preis von Seiten des Areals. Die Geldbeschaffung hat sich jeder Verein auf seine eigene Weise vorbehalten, im Übrigen sollte auch die Bauführung eine durchaus gemeinschaftliche, von einer ad hoc ernannten, beiderseitig beschickten Baukommission geleitete sein.

Doch präzisieren wir die Geschichte des Vereinshauses, soweit sie den Ingenieur- und Architekten-Verein betrifft, der die Interessen der "Allgemeine Bauzeitung" näher berührt, als der Gewerbe -Verein, etwas genauer:

Am 13. Februar 1869 war der Antrag, ein eigenes Vereinshaus zu bauen, sei es allein, sei es gemeinschaftlich mit dem niederösterr. Gewerbe-Verein in der Geschäfts-Versammlung des österr. Ingenieur und Architekten-Vereins eingebracht und für die am 20. Februar desselben Jahres anberaumte General-Versammlung geschäftsordnungsmäßig angemeldet worden. Die Antragsteller waren die Mitglieder: E. Becker, Fr. Bömches, J. Dörfel, J. Fanta, Aug. Köstlin, A. Matscheko.

In der General-Versammlung am 20. Februar 1869 wurde dieser Antrag nach eingehender längerer Debatte einstimmig angenommen, und zwar im Sinne gemeinsamen Vorgehens mit dem niederösterr. Gewerbe-Verein, mit welchem alsbald nach vorgenommener Wahl eines Vereinshaus-Komites Zusammentritt und Vereinbarung stattfand.

Von höchster Wichtigkeit war natürlich für den Verein die Frage, wie die Baukosten, welche auf etwa 240.000 fl. veranschlagt werden mussten, gedeckt werden sollten, da das Vermögen der Vereinskasse mit Schluss 1869 nur 5.500 fl. betrug.

Bei den diesbezüglichen Beratungen des Vereinshaus-Komites gab das Mitglied Herr Albert Edler von Klein die großmütige Zusicherung, eine Summe von 140.000 fl. zu höchstens 6% Interessen (inklusive Amortisation) beischaffen zu wollen, sobald der Rest von 100.000 fl. durch geschenkweise Beiträge gedeckt sein werde.

Gegenüber diesem großmütigen Anerbieten erachtete das Vereinshaus-Komitee, auf die Ausgabe verzinslicher Anlehensscheine verzichten und seine Bemühungen mit allem Nachdruck dahin richten zu sollen, die Summe von 100.000 fl. an geschenkweisen Beiträgen hereinzubringen. Diese Bemühungen sind von so glücklichem Erfolge gekrönt worden, dass für das Vereinshaus des österr. Ingenieur- und Architekten- Vereines bisher schon über 160.000 fl. Zugesichert und beinahe vollständig eingezahlt worden sind, während noch fortwährend neue Beiträge einlaufen.

Der gemeinschaftliche Bauplatz in der Eschenbachgasse, mit Seitenfronten in die Lastenstraße und Nibelungengasse, war im Beginn des Jahres 1870 erworben und im April 1870 wurde zur. Erlangung eines entsprechenden Bauplanes ein Konkurs mit dem Einreichungstermin 1. Juni 1870 ausgeschrieben, nachdem man sich in langen Sitzungen über das Programm geeinigt und beschlossen hatte, zwei ganz getrennte Häuser, jeder Verein nach seinem Bedürfnis, und nur eine gemeinschaftliche Fassade zu erbauen.

Zur Beurteilung der Konkurrenzpläne wurde eine Jury, bestehend aus den Herren Oberbaurat Th. Ritter von Hansen, Oberbaurat Friedrich Schmidt und Architekt C. Tietz (von Seite des österr. Ingenieur- und Architekten-Vereines) und den Herren Stadtbaumeister E. Kaiser, Oberbaurat J. Ritter von Romano und Oberbaurat J. Winterhalder (von Seite des niederösterr. Gewerbe-Vereines) bestellt, welche Mitglieder den Oberbaurat H. Ritter von Ferstel zu ihrem Obmanne erwählten.

Unter 20 eingelangten Konkurs-Projekten wurde der erste Preis dem Architekten Friedrich Schachner, der zweite dem Architekten O. Thienemann und der dritte dem Architekten Carl König zuerkannt; ein viertes Projekt, welches mit 3 gegen 4 Stimmen in der Minorität blieb, hatte den Architekten A. Wurm zum Verfasser.

Nach eingehenden Beratungen und längeren Verhandlungen mit dem niederösterr. Gewerbe-Vereine wurde das Projekt des Architekten 0. Thienemann mit einigen nachträglichen Änderungen als das zweckmäßigste erkannt und zur Ausführung bestimmt.

Nach nochmaliger Überarbeitung der Pläne, wie sie durch die Beratungen als notwendig sich herausgestellt hatte, wurde Herr 0. Thienemann als Architekt mit der Leitung des Baues betraut, und ihm als Bauführer Hr. Architekt H. Krakowitzer zur Seite gestellt. Die Bauarbeiten wurden vergeben und am 24. Oktober 1870 mit der Grundaushebung zum Bau begonnen. Im Mai 1871 ragten die Grundmauern bis an das Niveau der Straßen, im Beginn Novembers war das Haus unter Dach gebracht. Im Mai 1872 konnten teilweise Lokalitäten schon zur Unterbringung von Mobiliar benützt werden. Im August konnten die Räume allseits bezogen werden und nur die reichen, im Style der äußern Fassade gehaltenen, jedoch unter sich sehr verschiedenen Dekorationen der beiden Versammlungssäle kamen erst im Laufe Novembers zu Ende.

Am 26. November l. J. hatten beide Vereine die Ehre, Se. Majestät den Kaiser in Begleitung mehrerer Erzherzoge, Minister und sonstiger Würdenträger in dem neuen vereinigten Hause zu empfangen und dasselbe damit für eröffnet zu erklären. Die erste Vereins-Versammlung hatte bald darauf am 30. November stattgefunden, einfach, wie wenn nichts geschehen wäre, und nur Herr Architekt Thienemann benützte die Gelegenheit, einen Vortrag über den Bau und die Einrichtung des Vereinshauses unter Vorweisung der Pläne zu halten. Demselben wurden durch das Vereinsmitglied Friedrich Schmidt, Dombaumeister zu St. Stephan, der Dank des Vereins und die Anerkennung seiner vorzüglichen Leistungen unter lebhafter Zustimmung der Versammlung ausgesprochen. Der niederösterr. Gewerbe-Verein hatte am vorhergehenden Tag seine erste Wochen-Versammlung abgehalten. Diese beiden ersten ganz im gewöhnlichen Geleise abgelaufenen Versammlungen bildeten den zweiten Teil der Eröffnung und dieser zweite Teil hatte wahrscheinlich so trocken abgehalten werden müssen, um etwas Saft für den dritten Teil der Eröffnung aufzusparen, der sich am 2. Dezember Abends in den Sälen der Gartenbau-Gesellschaft in Gestalt eines solennen Banketts abspielte, zu welchem sich beide Vereine, mehr als 600 Köpfe stark, nebst geladenen hohen Gästen zusammengefunden hatten. Die Tafeln waren brillant gedeckt, mit wertvollen Kunstgewerbe-Gegenständen verschiedener Jahrhunderte aus Schätzen des österr. Museums und des früheren Königs von Hannover, mit lebenden Blumen etc. aufgeputzt, an den Wänden standen desgleichen zahllose Kunstgewerbe-Gegenstände umher, zum Teil neueste Erzeugnisse, Kandelaber, Girandolen etc., andere Bekränzungen aus Laub und Blumen mit gereimten Inschriften und dergleichen, auf den Galerien aber waren lebendige Damen aufgepflanzt. Musik spielte auf: eine eigens für das Fest komponierte Pièce und Anderes; Champagnerkorke wurden losgeschossen und Reden ertönten in der bekannten Festmanier, Heden, von denen man nicht verlangt, dass sie der Geschichte aufbewahrt werden.

Man muss sagen, dass dieses Riesenbankett, obgleich man die Toaste nicht verstehen konnte, zu einem äußerst belebten sich gestaltet hatte, und dass, als dann noch spät am Abend die Damen sanft herab sich neigten, und an der inoffiziellen Fortsetzung des Gelages sich beteiligten, die Stimmung eine bis zum Morgen fesselnde geblieben ist.

Es bekunden die hohe und allerhöchste Teilnahme, welche das Ereignis der Vereinshaus-Eröffnung gefunden, sowie auch das weitgehende Interesse, welches die Publizistik daran genommen, (sämtliche Journale Wiens brachten wiederholte und zum Teil lange und ausführliche Artikel über das neue Vereinshaus und seine Eröffnungsfeier), diese Merkmale bekunden die erfreuliche Tatsache, dass der Berufsstand der Techniker bereits zu einem Ansehen und einer Bedeutung gelangt ist, die ihm noch vor nicht gar so langer Zeit nicht zuerkannt wurden.

Wir reden nicht viel darüber, wie diese Errungenschaft zum großen Teil eben einfach dem Bedürfnis zu danken ist, das man heutzutage allenthalben nach Technikern empfindet. Der Staat wie die Privatspekulation brauchen zu Allem, selbst zur Kriegführung, heutzutage den Techniker. Wo ist eine gewinnbringende Unternehmung außer den reinen Bank- und Börsengeschäften heute zu finden, bei der nicht technische Kräfte die wichtigste Rolle spielen? Es kann dies auch wieder anders werden! Darum wird es unsere Sache sein, auf Erhaltung der Errungenschaft unserer Tage Bedacht zu nehmen, auch wenn magere Jahre kommen. Das aber wird nur möglich sein, wenn sich die Techniker bemühen, unausgesetzt vorwärts zu schreiten auf der Stufenleiter des Wissens und der allgemeinen Bildung. Dazu aber sind gerade die Vereine ein vorzügliches Mittel, welches zu hegen und zu pflegen eines Jeden Pflicht und Aufgabe sein soll.

Anregend und aneifernd ist es immer, an der Hand geschichtlicher Entwicklung zu sehen, wie bescheidene, oft hoffnungslose Samenkörner, die gleichwohl mit frischem Mute der Erde anvertraut wurden, Wurzel fassen und nach langem kümmerlichen Dasein fristen, endlich doch zu regerem Wachstum gelangen; wie die Pflanze dann, so sie etwas Lebensfrische zeigt, freundliche Pflege findet und wie sie, je üppiger sie, die anfangs unbeachtete, zu wachsen beginnt, desto mehr Bewunderer und Anhänger sich sichert. So sei denn zu Ehren des österr. Ingenieur- und Architekten-Vereins, mit dem Wunsche seines immer weiteren, wahrhaften und besonders innerlichen Gedeihens, ein kurzer Abriss seiner Entwicklungsgeschichte zum Schlusse hier noch angefügt, deren Daten einer kleinen Festschrift zur Eröffnung des Vereinshauses entnommen sind.

Es war am 2. Mai des Jahres 1848, als sich im Wonnegefühl der durch die vorangegangenen Märztage gereinigten Luft, der erlangten Freiheit in Handel und Wandel, die Herren Schnirch, Fischer, Kreuzl, Lilienfelt, Nedwidek, Perner, Pollak, Sonnenthal und Ubel im Gastlokale beim Engländer unter den Tuchlauben zusammenfanden, um über die Gründung eines österr. Ingenieur-Vereines zu beraten.

Die Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit eines solchen Vereines wurde anerkannt und in mehreren rasch aufeinanderfolgenden Zusammenkünften ein Statuten-Entwurf für denselben verfasst, in welchem als Zweck des Vereines die Vertretung des Ingenieurstandes im Privat- wie im Staatsleben, in wissenschaftlicher wie in praktischer Beziehung bezeichnet wurde.

Am 8. Juni 1848 erfolgte im Gartenhause des Gasthofes zum goldenen Kreuz auf der Wieden die definitive Konstituierung des Vereines, wobei der kaiserliche Rat Adalbert Schmid als Vereins-Vorsteher, und Inspektor Friedrich Schnirch, welcher die Vorberatungen geleitet hatte, als dessen Stellvertreter erwählt wurden.

Bei dieser konstituierenden Versammlung waren anwesend: die Herren Adalbert Schmidt, Friedrich Schnirch, F. P. Rigel, Demarteau, Franke, Angele, W. Giles, Pichel, Michel, Kohn, Rassl, Pollak, Fischer und Lewicki, welche daher als Gründer des Vereines erscheinen.

Mit wahrem Feuereifer gingen die Vereinsmitglieder daran, die gemeinnützigen Zwecke des Vereines in jeder Beziehung zu verfolgen. Noch vor der förmlichen Konstituierung des Vereines wurde eine Eingabe an den Ministerrat gerichtet, in welcher ein Plan zur Organisation des eben neu errichteten Ministeriums der öffentlichen Arbeiten vorgelegt wurde; bald darauf, u. z. noch im Sommer des Jahres 1848 folgten ausgearbeitete Entwürfe für die Organisation der technischen Schulen und für den Vorgang bei öffentlichen Preisausschreibungen; dann Arbeiten in Betreff der Semmering-Eisenbahn, der Augarten-Kettenbrücke und der Donauregulierung; außerdem wurden in der nämlichen Zeit verschiedene Maschinen-Konstruktionen und Bauten geprüft und begutachtet und der innere Ausbau des Vereines vollendet.

Diese Tatsachen seien erwähnt, um zu zeigen, dass der österr. Ingenieur- und Architekten-Verein nicht künstlichen Kombinationen oder Privatinteressen, sondern nur der Begeisterung seiner ersten Mitglieder für ihre Wissenschaft seine Entstehung verdankt.

Im Jahre 1849 begann der Verein die Herausgabe seiner Zeitschrift für wissenschaftliche und praktische Fragen und Gegenstände des Ingenieur-Wesens und der Architektur.

Im Jahre 1852 veranlasste der Verein den Wiener Professor P. T. Meissner, eine Reihe von Vorträgen über Pyrotechnik zu halten, welche von zahlreichen Zuhörern besucht wurden, und zum ersten Male eine Übersicht der Wärmetheorie und der darauf basierten Heiz- und Ventilations-Systeme dieses Mannes boten, der die allgemeine Würdigung seiner Anschauungen, wie sie heutzutage vorliegt, freilich nicht mehr erleben konnte; denn bald darauf ward er hochbetagt von hinnen gerufen.

Im Jahre 1860 beschloss der Verein für die Beantwortung einzelner wichtiger Fragen aus dem Gebiete der Industriewissenschaften Preise auszusetzen, deren Dotation durch freiwillige Beiträge der Vereinsmitglieder und mehrerer Eisenbahngesellschaften erzielt wurde.

Im Jahre 1864 wurde in Folge solcher Preisausschreibung das Werk von E. Heusinger von Waldegg über die bei Eisenbahnfahrzeugen angewendeten Schmiermaterialien mit dem Preise gekrönt.

Im Jahre 1863 beschloss der Verein, eine Sammlung von Musterstücken aller in der Monarchie vorkommenden Bausteinarten anzulegen, welche in Verbindung müden gleichzeitig zu sammelnden genauen Notizen die Kenntnis des vorhandenen Reichtums an Bausteinen befördern und einerseits dem bauenden Ingenieur die Auswahl des geeigneten Materials, andererseits dem Steinbruchbesitzer die Bekanntmachung und den Absatz seiner Erzeugnisse erleichtern soll.

In Folge dieses Beschlusses besitzt der Verein gegenwärtig bereits eine Bausteinmuster-Sammlung von 1.300 Stücken, unstreitig die erste und reichste derartige Sammlung in der Monarchie.

Im Jahre 1864 beschloss der Verein (bis dahin österr. Ingenieur-Verein) aus Anlass der im nämlichen Jahre in Wien tagenden XIV. Versammlung deutscher Architekten und Ingenieure sich zu einem österreichischen Ingenieur- und Architekten-Verein zu, erweitern, in Folge welchen Beschlusses eine größere Anzahl von Architekten dem Vereine beitrat.

Im Herbste des Jahres 1865 bildete das Projekt der Wasserversorgung Wiens durch Zuleitung der Kaiserbrunnen-, der Stixensteiner- und der Alta-Quelle den Gegenstand über längeren Reihe von Vorträgen und lebhaften Diskussionen, wobei vorzugsweise die Zulänglichkeit dieser Quellen für die beabsichtigte reichliche Wasserversorgung der Stadt Wien bestritten wurde. Diese Debatten erregten die Aufmerksamkeit aller Kreise in Wien, und waren von der Journalistik mit dem lebhaftesten Interesse verfolgt. Durch sie hat sich der Verein eine große Popularität errungen.

Im Jahre 1869 gründete der Verein ein ständiges Schiedsgericht zur Entscheidung streitiger Fragen in technischen Angelegenheiten, das schon manche wichtige Fälle zu entscheiden gehabt hat, und fortwährend in Tätigkeit erhalten wird.

Im nämlichen Jahre beschloss der Verein, zur Erinnerung an den Erbauer der Semmering-Eisenbahn, Karl Ritter von Ghega, auf dem höchsten Punkte dieser Bahn ein Denkmal zu errichten, die hierzu erforderlichen Geldmittel durch freiwillige Beiträge der Vereinsmitglieder und der Eisenbahn-Gesellschaften aufzubringen, und den nach Bestreitung der Kosten des Denkmals etwa verbleibenden Kassarest zur Gründung einer „Ghega-Stiftung“ für würdige Studierende der polytechnischen Hochschule zu Wien zu verwenden.

Die in Ausführung dieses Beschlusses eingeleitete Subskription ergab eine Summe von rund 70.000 fl., wovon in runder Zahl 20.000 fl. zur Bestreitung des Ghega-Denkmales am Semmering verwendet wurden; der Rest mit runden 50.000 fl. wurde zur Dotierung der Ghega-Stiftung bestimmt, von welcher jährlich ein Reisestipendium von 1.500 fl. in Silber und drei Studienstipendien, jedes von 300 fl. Banknoten bestritten werden sollen. Die durch äußere Hindernisse bisher verzögerte Aktivierung dieser Stiftung wird in nächster Zeit stattfinden.

Das Wichtigste aus dem Jahre 1869 dürfte aber der Beschluss des Vereines genannt werden, ein eigenes Vereinshaus in Gemeinschaft mit dem niederösterr. Gewerbe-Vereine zu erwerben. Zu dieser Frage sei geschichtlich rückblickend Folgendes erwähnt:

In den ersten Monaten seines Bestehens musste der Verein seine Versammlungen in Gasthöfen abhalten; erst im August 1848 wurden demselben von der k. k. Gebäude-Direktion einige Lokalitäten im damaligen Börsengebäude (Weihburggasse 939) überlassen, welche jedoch schon im November 1848 gegen ein Lokale in der Teinfaltgasse 72 vertauscht werden mussten. Im März 1849 musste der Verein auch dieses Lokal wieder räumen, und fand zuerst in den Lokalitäten der ungarischen Zentralbahn, dann (seit August 1849) im niederösterr. Landhaus (Herrengasse 30) provisorische Unterkunft. Im April 1850 endlich gelang es dem Vereine, ein den damaligen Bedürfnissen entsprechendes Lokale in dem sogenannten Schönbrunnerhause (Tuchlauben 8) mietweise zu erhalten, in demselben Hause, in welchem sich zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die kaiserliche Maler- und Bildhauer-Akademie befand.

Die Anzahl der Vereinsmitglieder war im Jahre 1869 bereits auf 951 (wovon 647 in Wien selbst wohnhaft) gestiegen, und der im Jahre 1865 in dem gemieteten Vereinslokale (Tuchlauben 8) mit großen Schwierigkeiten und Unkosten hergestellte Saal von kaum 32 Quadrat-Klaftern Bodenfläche keineswegs mehr genügend, um den 200-300 Besuchern der Vereins-Versammlungen auch nur mäßige Bequemlichkeit zu bieten; anderseits war aber keine Möglichkeit vorhanden, ein geräumigeres, geeignetes Lokale mietweise zu erhalten. Das Nähere über diesen Beschluss haben wir bereits oben mitgeteilt.

So haben wir zur Ergänzung der vorstehenden geschichtlichen Skizze nur noch anzuführen, dass der österr. Ingenieur-und Architekten-Verein gemeinschaftlich mit dem niederösterr. Gewerbe-Vereine schon seit mehreren Jahren die Einleitung der im Jahre 1873 in Wien stattfindenden Weltausstellung betrieben, und im Jahre 1870 zur Förderung derselben die Bildung eines Garantiefonds veranlasst hat, durch welchen der Regierung eine Einnahme bis zur Höhe von 3 Millionen Gulden garantiert wird.

Köstlin. (1)